Kirche und Militär – die Zusammenarbeit beenden! 34 Thesen.
Außerdem: 10 Regeln des aktiv gewaltfreien Widerstandes. Gewaltfrei ist nicht passiv.
Diese Thesen wurden von Christ*innen verfasst, die im Internationalen Versöhnungsbund (VB, IFOR), in der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen (DFG-VK) oder/und im Ökumenischen Institut für Friedenstheologie (OekIF) aktiv sind.
1. Jesus von Nazareth lehnte Waffengewalt ab. Er sprach die Friedensstifter selig. Er lehrte, wie man aufrecht bleiben kann, auch wenn man angegriffen wird. Gegen seine Verhaftung wehrte er sich nicht.
2. Als Christ*innen sind wir berufen, mitten in dieser Welt, die voll Gewalt ist, Zeug*innen seines Friedens zu sein. Wir dürfen im Geist seines Friedens leben.
3. Jesus hat gesagt: Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen; es hat unter uns bereits begonnen. Zum Reich Gottes gehört die Gewaltlosigkeit.
4. Die Christ*innen der ersten zwei bis drei Jahrhunderte, einschließlich der Bischöfe und „Kirchenväter“, lehnten militärische Gewalt ab.
5. Die „Nachfolge Christi“ ist ein Leben in seinem Geist und nach seinem Vorbild. Diese Lehre wurde seit der Konstantinischen Wende (312 n.Chr.) verdrängt. Die Lehre von der „Nachfolge Christi“ überlebte über Jahrhunderte nur am Rand der Kirche. Nachfolge Christi ist nicht Werkgerechtigkeit.
6. Die großen Kirchen fahren auch heute noch zweigleisig: Frieden schaffen ohne Waffen – aber notfalls auch mit Waffen. Wir fordern: Die Kirchen sollen nicht länger zweigleisig fahren. Die Kirchen sollen ganz auf gewaltlose Mittel setzen!
7. Nicht nur der Glaube, sondern auch die Statistik zeigt: Aktiv gewaltfreie Methoden sind in der Regel nachhaltiger, effektiver und kosten weniger Menschenleben als militärische Methoden.
8. Mit der Bergpredigt lässt sich Politik machen, sogar gute Politik. Beispiele: die Rosenkranzrevolution auf den Philippinen 1986, die friedliche Revolution in der DDR 1989 und die Revolution der „Frauen in Weiß“ in Liberia 2003.
9. Der Aufruf zur Gewaltlosigkeit gilt nicht nur für eine ferne Zukunft, sondern für heute. Nicht nur für das Privatleben, sondern auch für die internationale Politik. Er richtet sich an alle Menschen, nicht nur an wenige Auserwählte.
10. Paulus schreibt: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem." Dies gilt auch für politische Konflikte.
11. Soldat*innen und deren Angehörige sind in unseren Gemeinden willkommen. Jesus hat sich allen Menschen zugewendet, auch den Soldaten. Es ist eine Sache, sich einem Menschen zuzuwenden; und eine andere Sache, seine Gewalttaten zu unterstützen oder zu rechtfertigen.
12. In der Bundeswehr arbeiten etwa 100 evangelische und 100 katholische Militärgeistliche . Die meisten sind Militärbeamte auf Zeit, manche auch auf Lebenszeit. Militärgeistliche werden von der Bundeswehr bezahlt. Sie haben ihre Büros in Kasernen, nutzen Fahrzeuge der Bundeswehr und tragen im Auslandseinsatz (sowie im Manöver und auf Kriegsschiffen) militärische Kleidung. Diese starke Einbindung in das „Lebensfeld Bundeswehr“ färbt auf das Denken und Handeln der Militärgeistlichen ab.
13. Militärgeistliche begleiten Soldaten in Einsatzländer. Sie unterhalten und „erbauen“ die Soldaten. Sie vermitteln in Konflikten. Sie signalisieren: „Gott ist mit euch. Gott vergibt euch. Ihr seid für eine gute Sache unterwegs.“ Am Grab „gefallener“ Soldaten finden sie tröstliche Worte.
14. Auf diese Weise ist die Militärseelsorge ein funktionierendes Rad der „Militär-Maschine“. Sie gehört zur „inneren Führung“ der Bundeswehr. Nur selten haben Militärpfarrer „ihre“ Soldaten dazu aufgefordert, die Waffen niederzulegen und nach Hause zu gehen.
15. Die etwa 200 Militärgeistlichen unterstehen den Militärdekanen und Militärbischöfen. Die leitenden Behörden sind das KMBA und das EKA, beide in Berlin. Die Militärseelsorge untersteht organisatorisch dem Bundesministerium für Verteidigung.
16. Katholische Militärgeistliche segnen immer wieder auch militärische Fahrzeuge und Immobilien. Evangelische Militärgeistliche beten ab und zu auch für militärische Einrichtungen. Diese unselige Praxis ist endlich zu beenden!
17. Auch in der DDR gab es Soldatenseelsorge. Soldaten kamen in ihrer Freizeit in die Pfarrhäuser und Gemeindekirchen. Diese Praxis hatte sich bewährt. Dennoch wurde das „Westmodell“ übernommen. Daher heute der Reformstau.
18. Die Auslandspfarrer*innen unserer Kirchen, die sich um Deutsche in anderen Ländern kümmern, könnten auch Ansprechpartner für in ihrer Region stationierte Soldat*innen sein.
19. Die Bundeswehr finanziert und organisiert seit 2020 auch eine jüdische – und bald wahrscheinlich auch eine muslimische Militärseelsorge. Wir meinen: Keine Religionsgemeinschaft sollte Waffengewalt rechtfertigen, unterstützen oder begleiten.
20. In evangelischen und katholischen Kirchen finden pro Jahr etwa 100 Militärkonzerte statt, davon die Hälfte Militär-Adventskonzerte. Bei diesen Konzerten werden christliche und populäre Stücke gespielt. Die besondere Atmosphäre der Kirche und die Schönheit der Musik überträgt sich auf die Bundeswehr. Die betreffenden Kirchengemeinden lassen sich für die Image-Werbung der Bundeswehr instrumentalisieren. Was würde Jesus Christus zu Militär-Werbung in seinem Hause sagen?
21. Auch auf Kirchentagen, Katholikentagen und Ökumenischen Kirchentagen betreibt die Bundeswehr Sympathiewerbung, Kontaktpflege und Lobbyarbeit. Bundeswehrvertreter dürfen ihre Argumente im Rahmen von Podiumsdiskussionen ausführlich darlegen. Militärgeistliche setzen sich argumentativ für die Bundeswehr ein. Auf jedem Kirchen- und Katholikentag wird ein Militärgottesdienst gefeiert. Militärbischöfe und Militärgeistliche leiten diese Gottesdienste. Bundeswehrvertreter nehmen teil. Ein Bundeswehr-Musikkorps spielt. Die Militärpolizei sichert den Gottesdienst gegen „Störer“.
22. So wie Jesus Christus die Händler aus dem Tempel vertrieben hat – energisch aber ohne Waffengewalt – so sollten auch wir das Militär aus den Kirchen vertreiben. Soldaten als Privatpersonen sind willkommen. Soldaten in dienstlichem Auftrag sind nicht willkommen.
23. Die großen Kirchen sollten ihren Mitgliedern empfehlen, nicht beim Militär und nicht in Rüstungsfirmen zu arbeiten. Bisher gibt es von Seiten der Kirchenleitungen keine solche Empfehlung.
24. Kirchengemeinden, in deren Region sich Rüstungsfirmen befinden, verschließen oft die Augen davor. Diese Kirchengemeinden sollten ermuntert werden, hinzuschauen, Informationen zu sammeln und offen darüber zu sprechen.
25. Immer wieder werden auch kirchliche Projekte durch Rüstungsfirmen gesponsert, z.B. die Gemeindehausrenovierung. Als „Gegenleistung“ übt man Zurückhaltung in der Kritik an diesen Firmen.
26. Nicht wenige kirchliche Tagungshäuser und Akademien arbeiten mit der Bundeswehr zusammen, bieten Kurse für Soldat*innen an, laden Referent*innen der Bundeswehr ein und richten Tagungen für die Militärseelsorge aus.
27. Auf Panzer, Kriegsschiffe und Militärflugzeuge lässt die Bundeswehr das Kreuzeszeichen anbringen. Die Kirchen sollten gegen diesen Missbrauch des christlichen Zeichens Einspruch erheben.
28. Kirchenleitungen haben Angst, Kirchenmitglieder zu verlieren, die beim Militär und in der Rüstung arbeiten. Aber diese Angst sollte nicht das Handeln der Kirchenleitungen bestimmen.
29. Die Kirchen sollten bewaffnete Bundeswehr-Auslandseinsätze klar und eindeutig ablehnen.
30. Die Kirchen sollten – ohne Hintertüren – für die sofortige Abschaffung aller Atomwaffen eintreten.
31. Die meisten Konflikte zwischen Staaten bzw. Volksgruppen werden – Gott sei Dank – ohne Waffengewalt beigelegt. Es gibt internationale Organisationen, die zu diesem Zweck gegründet wurden. Es gibt zahlreiche Projekte der Konfliktprävention und Völkerverständigung. Es gibt Organisationen, die wissen, wie man internationale Konflikte gewaltfrei lösen bzw. bearbeiten kann: Peace Brigades International (pbi), Nonviolent Peaceforce (NP), Christian Peacemaker Teams (cpt), Ziviler Friedensdienst (ZFD), Werkstatt für Gewaltfreie Aktion (WfGA), Kurve Wustrow und andere. Diese Organisationen sind leider meistens unterfinanziert. Die Studie „Sicherheit neu denken“ zeigt, wie Deutschland von der militärischen "Sicherheit" auf zivile Sicherheit umsteigen könnte.
32. Dem Vertrauen auf militärische „Lösungen“ sollten die Kirchen das Vertrauen auf den Gott des Friedens entgegensetzen. Dem „Bekenntnis zu Bundeswehr und Nato“ sollten die Kirchen das Bekenntnis zu Jesus Christus entgegensetzen. Er hat Waffengewalt abgelehnt.
33. Re-formieren heißt zurück-formen, zurück zur Quelle, zu den Wurzeln; sich neu an Jesus Christus orientieren. Ecclesia semper reformanda! Die Kirche muss immer reformiert werden - auch heute.
34. Martin Luther reformierte viele Bereiche der Kirche und des Lebens. Dabei klammerte er aber das Thema „Militär“ weitgehend aus. An der Zusammenarbeit der Kirche mit dem Militär hat sich durch die Reformation wenig geändert.
Wittenberg, den 14.8.2014, hier in der Fassung von 2024
Anhang/Ergänzung: Die 10 Methoden und Regeln des aktiv gewaltfreien Widerstandes. Wehrhaft ohne Waffen! Gewaltfrei ist nicht passiv!
Oft erscheinen militärische Mittel wie die schnelle Lösung. Aber die Folgen sind unvorstellbar grausam: zerstörte Menschenleben, zerstörte Städte, Umweltverschmutzung, Geldverschwendung, Eskalation und Hass. Auch gewaltfreie Methoden erfordern Einsatz und Risikobereitschaft. Auch gewaltfreie Methoden führen – wie militärische Methoden – nicht immer zum Erfolg. Dennoch ist das Verhältnis von Kosten und Nutzen bei aktiv gewaltfreien Methoden besser, sowohl in menschlicher als auch in materieller Hinsicht.
1. Findet Verbündete! Verbündet euch mit Menschen verschiedener Altersgruppen und sozialer Schichten. Tut Euch mit Umwelt-Organisationen und sozialen Bewegungen zusammen.
2. Organisiert Demonstrationen, Blockaden und Streiks! Macht deutlich, dass ihr euch nicht dem Willen der Besatzer unterwerft.
3. Boykottiert die Besatzer durch Bummelstreiks und Nicht-Zusammenarbeit! Motto: „Nichts wissen, nichts sagen, nichts tun.“ Gebt den Gegnern keine Informationen, keine Namenslisten und keine Daten. Vertauscht Schilder und Namen. Beamte sollen – wenn sie zur Arbeit gezwungen werden - nur langsam und fehlerhaft mit den Besatzern zusammenarbeiten.
4. Tretet positiv mit den Gegnern in Kontakt! Zum Beispiel durch kleine Geschenke und direkte Ansprache. Vergesst nicht – wenn genug Druck aufgebaut ist – auch zu verhandeln. Eventuell zuerst auf dem Weg über neutrale Personen.
5. Entwickelt Symbole, Lieder, Gesten und ein Motto! Dies dient der Wiedererkennbarkeit und fördert den Zusammenhalt.
6. Gegen Luftangriffe hat sich die Methode „Offene Stadt“ bewährt! Täuscht eine Kapitulation vor und wendet dann alle aktiv gewaltfreien Methoden an. Siehe z.B. Wikipedia „Offene Stadt“.
7. Recherchiert Grausamkeiten und Unrecht! Legt die Grausamkeiten der Angreifer offen. Findet Beweise und Wege sie zu veröffentlichen. Vernetzt euch hierzu weltweit. Schafft hohe Medienpräsenz und aktiviert internationale Organisationen.
8. Bleibt hartnäckig, ausdauernd und leidensbereit! Auch bei gewaltfreien Methoden muss man mit Zerstörungen, Verletzten und sogar Toten rechnen. Vergeltet Gleiches nicht mit Gleichem. Ruft Mitstreiter*innen dazu auf, gewaltfrei zu bleiben.
9. Schafft dezentrale und unabhängige Strukturen! Zum Beispiel in den Bereichen Landwirtschaft, Energiegewinnung, Produktion, Handel, Medien, Kommunikation, Bildungs- und Gesundheitswesen. Unterstützt euch untereinander. Achtet auf die Quellen eurer Resilienz! Helft den Flüchtlingen, Deserteuren und allen Notleidenden.
10. Setzt auf demokratische und basisdemokratische Strukturen! Lasst keine Befehls- und Gehorsamsstrukturen zu.
Fazit: Gewaltfreie Verteidigung ist weder naiv noch unvernünftig noch unrealistisch, sondern das genaue Gegenteil. Erfolgreiche Beispiele findet Ihr im Heft „Gewaltfrei wirkt“ von Pax Christi. Beschrieben werden 61 erfolgreiche gewaltfreie Kämpfe, darunter die Rosenkranz-Revolution 1986 auf den Philippinen, die Friedliche Revolution 1989 in der DDR, die Singende Revolution 1988 - 1991 in Estland, Lettland, Litauen und die Vertreibung des Diktators Charles Taylor aus Liberia 2003. Übrigens: Mit diesen Methoden kann man nicht nur Länder und Städte verteidigen, sondern auch demokratische Rechte und soziale Errungenschaften im eigenen Land.
Kontakt: kirche-ohne-militaer@dfg-vk.de
Weitere Informationen: wehrhaftohnewaffen.de soziale-verteidigung.de oekum-institut-friedenstheologie.de versoehnungsbund.de ziviler-friedensdienst.org militaerseelsorge-abschaffen.de musiker-gegen-militaermusik.de dfg-vk.de wfga.de
„Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden fortan nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ (Micha 4, Vers 3)
Nebenbei an dieser Stelle eine Buchvorstellung
Wir dachten zuerst: Der Titel dieses Buches ist nicht ernst gemeint. Wir dachten: Der Titel ist sarkastisch gemeint, als Kritik an der Militärseelsorge.
Wir haben es dann gelesen und uns gewundert: Der Titel ist ernst gemeint. Aufgabe der Militärseelsorge sei es - so steht es tatsächlich in diesem Buch - für Ruhe in der Seele der Soldatinnen und Soldaten zu sorgen.
Aber hat die Kirche diese Aufgabe? Soll die Kirche nur segnen und begleiten? Hat Jesus Christus nur gesegnet, begleitet und die Seelen beruhigt?
Was hätten Amos und die anderen Propheten dazu gesagt?
Herausgeber: "Evangelisches Kirchenamt für die Bundeswehr". Dies ist übrigens keine kirchliche Behörde, sondern eine Behörde, die dem Verteidigungsministerium untersteht.