Militärpfarrer Karl Martin strafversetzt. Wegen Pazifismus.
Seit 1957 sind es nur 2 oder 3 solche Fälle, die öffentlich geworden sind.
"Fidele Ignoranten", DER SPIEGEL 31/1983 (31.07.1983) Erstmalig muß ein protestantischer Militärgeistlicher den Dienst quittieren, weil er nicht stramm auf Bundeswehrkurs liegt. Auf einem Konvent der Militärpfarrer in Lüneburg befaßte sich die Runde mit dem Paulusbrief an die Römer, Kapitel 13: »Es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt« - und mit der Folgerung, daß es »notwendig« sei, »Gehorsam zu leisten«. Für Militärbischof Sigo Lehming waren die Apostel-Worte die richtige Einstimmung zu einem anschließenden Vier-Augen-Gespräch. Bei dem Militärpfarrer Karl Martin aus München vermisse er »Loyalität gegenüber Autoritäten«, sprach der Bischof, das Vertrauensverhältnis sei »endgültig gestört«. Und was der Gesprächspartner, ein Professor von der Münchner Bundeswehrhochschule, auch vorbrachte, der Kirchenobere blieb fest: Der Militärgeistliche Martin müsse nun mal aus dem Dienst ausscheiden: »Das ist unwiderruflich.« Auch vom bayrischen Militärdekan und von der Münchner Kirchengemeinde Ottobrunn ("Bedenkt Eure Entscheidung noch einmal brüderlich") ließ Lehming sich nicht umstimmen. Monate zuvor schon hatte er sich mit der gesamten Spitze der evangelischen Militärseelsorge auf einer Geheimklausur in Bonn gegen Martin ausgesprochen. So steht für Pfarrer Martin zu erwarten, daß sein Vertrag als Militärseelsorger zum Jahresende nicht verlängert wird. Zum ersten Mal muß ein Militärgeistlicher gehen, weil er in den Verdacht geraten ist, anfällig für pazifistisches Gedankengut zu sein. Für Zweifler wie Martin ist, obwohl von den 162 Militärpfarrerstellen mehr als 40 vakant sind, in der Bundeswehr kein Platz. Die erzwungene Entfernung von der Truppe erhellt das Stimmungsbild in der evangelischen Kirche, in der sich, mit verschärfender Diskussion über die Nachrüstung, eine tiefe Kluft aufgetan hat. Während sich, wie jüngst auf dem evangelischen Kirchentag in Hannover, protestantische Christen massenhaft auf das 5. Gebot berufen und mit der Bergpredigt-Verheißung ("Selig sind die Friedfertigen") zu Zehntausenden auf die Straße ziehen, stehen die Kasernen-Theologen in der Nachrüstungsdebatte mittlerweile am äußersten Rand der Kirche, dort aber stramm wie nie. Mitglieder der Aktion Sühnezeichen beispielsweise, einer der aktivsten protestantischen Initiativen, sollten nach Ansicht des Militärdekans Armin Boyens auch mal eine Demonstration in Ost-Berlin veranstalten. Dort wären sie, findet auch Glaubensbruder Reinhard Gramm »halbe Märtyrer«. Wenn »ich im Kreml wäre«, fiel dem Generaldekan zu Hannover ein, würde ich sagen: »Wozu sollen wir über Raketen verhandeln? Wir brauchen nur Zeit.« Als 33 rheinische Superintendenten den 16. Oktober zum »Widerstandssonntag« gegen den Nato-Doppelbeschluß ausriefen, meldete Gramm »allergrößte Bedenken« an. Den Evangelischen, spitzte der Generaldekan vorletzte Woche den Dissens zwischen Friedensbewegten und Militärgeistlichen zu, drohe die Spaltung in eine »Friedens«- und eine »Raketen-Kirche«. Komme es im Herbst zu Konflikten zwischen Demonstranten und Bundeswehr, sei der Standort der Militärseelsorger »dort, wo die Soldaten stehen«. Bischof Lehming hält Theologen, die sich mit Schildern wie »Pfaffen ohne Waffen« ausrüsten, für »fidele Ignoranten«. In Schleswig-Holstein, wo er zu Hause ist, trug er dazu bei, daß ein Friedens-Pfarrer, der die Gemeinde »gespalten« habe, dort nicht mehr amtieren darf. Lehmings Thesen könnten von der Hardthöhe stammen: »Unter den heutigen Bedingungen dient es dem Frieden mehr, wenn man Soldat in der Bundeswehr ist. Eine konsequente Entscheidung gegen den Wehrdienst würde zu einer Instabilität in Mitteleuropa führen.« Wenn zivile Kirchenführer wie der Berliner Altbischof Kurt Scharf das von Friedensbewegten getragene violette Tuch als »Ersatz für den Lutherrock« preisen, empfinden das Militärseelsorger als Provokation. Wohin solche »Friedenshetze« führe, erläutert der Mainzer Wehrbereichsdekan Winfried Sixt: Im pfälzischen Mayen sei ein Kasernen-Theologe unter den Attacken pazifistischer Kollegen »seelisch und körperlich fast zerbrochen«. Die Auseinandersetzung in der evangelischen Kirche um Overkill und Nachrüstung, aber auch die Vorbereitung auf die Herbst-Proteste, haben die Militärseelsorge, die ohnehin nie von starken Selbstzweifeln geplagt war, noch starrer werden lassen. Während von ihren katholischen Kollegen, die früher noch beteten: »Heiland, hilf mir, ein moderner Kreuzritter zu werden«, viele links gewichtet sind, driftet sie in die andere Richtung. In Arbeitstexten geben Protestanten den »Nichttheologen« Nachhilfe in Bibel-Exegese. Gerade die Bergpredigt, schreibt Militärdekan Horst Scheffler, Dozent am Zentrum für Innere Führung in Koblenz, könne »unsere Soldaten ermutigen, ihren Auftrag zu erfüllen«. Eine »Hilfe zum Verstehen« sei der Spruch: »Wer den historischen Jesus kopiert, hat seine Aufgaben heute nicht kapiert.« Die Militärgeistlichen halten sich an den Komment für Truppen-Theologen, den 1969 der damalige Heeresinspekteur Albert Schnez entworfen hat. Danach sind »Seelsorger zu strikter Loyalität gegenüber dem Auftrag der Streitkräfte« verpflichtet. Gerät ein Militärgeistlicher »in einen inneren Gegensatz zu den militärischen Erziehungsmaximen«, muß er abgelöst werden. Zwar haben darüber _(Bischof Sigo Lehming, ) _(Verteidigungsminister Manfred Wörner, ) _(Generaldekan Reinhard Gramm.) eigentlich nicht die Troupiers zu bestimmen. Denn alle Geistlichen in den Kasernen unterstehen in theologischen Fragen dem Militärbischof, der wiederum nur seiner Kirche verpflichtet ist. Aber die Wehr-Seelsorger sind finanziell vom Staat abhängig, die Kosten für die Pfarrer zahlt die Bundeswehr. Das Verteidigungsministerium honoriert großzügig. Nur weil sie Wehrgeistliche sind, bekommen sie schon eine Zulage, auch mit Dekanstellen sind sie reichlich gesegnet. Die Gemeindearbeit ist nicht gerade aufreibend, kein Presbyterium mischt sich ein, und nur alle paar Wochen muß mal gepredigt werden. Die Hauptbelastung ist der Lebenskundliche Unterricht für Soldaten, in dem laut Bundeswehr-Vorschrift »die Quellen« gezeigt werden, »die dem Leben Sinn geben und zu den Ordnungen hinführen, durch die die Gemeinschaft lebenswert und damit verteidigungswert wird«. Der Alltag der Pfarrer ist erträglich. Jeder hat neben der obligatorischen Dienstwohnung einen Dienstwagen sowie einen Pfarrhelfer. Ein Bischof wie Lehming, Luftwaffenhelfer im Zweiten Weltkrieg, ist fast so gestellt wie ein General. Sein Dienstmercedes ist mit Stander bestückt; bei Truppenbesuch fährt mitunter eine Motorradstaffel vorweg. Damit der Bischof in der Truppe gut ankommt, rückt ihn eine Werbeagentur ins rechte Licht. Wer am soldatischen Handwerk Gefallen hat, darf auch das Gewehr anlegen. Im Manöver beispielsweise schlüpfen die Ornat-Träger gern mal in den olivgrünen Nato-Kampfanzug. Oder aber sie rücken, wie bei der Übung »Starke Wehr« im Herbst 1982, mit Stahlhelm und Schutzmaske aus und schweben mit dem Hubschrauber ein. In dieses Klima ganz besonderer Religionsausübung geriet der Münchner Pastor Martin fast zufällig. Weil er »unbedingt mit Studenten zusammenarbeiten« wollte, hatte er sich um eine Pastorenstelle an einer Hochschul-Kirche beworben. Doch im Herbst 1977 landete er an einer Universität eigener Art, der Bundeswehrhochschule in München. Dort versuchte Martin jenes christliche Beiderlei zu verkünden, das der evangelische Kirchentag in Hannover 1967 geprägt hatte: »Dienst am Frieden mit und ohne Waffen.« Martin berief sich auf die 1959 entwickelten »Heidelberger Thesen«, die sowohl den Verzicht auf Atomwaffen als auch die Atomrüstung als eine »mögliche christliche Handlungsweise« anerkennen. In seiner Zeitung »Evangelische Hochschulgemeinde« sorgte er für Ausgewogenheit. Zum Thema Nachrüstung druckte er den Aufsatz eines Offiziers von der Hardthöhe, aber auch die Meinung des aus der CSU ausgeschlossenen Friedensforschers Mechtersheimer. Beim Nato-Doppelbeschluß wollte Martin sich »nicht festlegen - darüber weiß ich zuwenig«. Aber er predigte, das »Ziel der Kriegsverhütung« sei »durch die zahllosen Aufrüstungen und Nachrüstungen eher gefährdet als annäherungsweise erreicht« - alle müßten »ein Stück Ungleichgewicht wagen«. Das Mißfallen der Militärs erregte Martins Umgang mit Kriegsdienstverweigerern. Genauso wie um das Wohl der Soldaten, verkündete der Pfarrer, müßten sich die Militärseelsorger auch um die »ethischen Umorientierer« kümmern. So was wird gerade in München von den Oberen der Bundeswehrhochschule nicht gern gehört. Ein knappes Dutzend Offiziere hat dort in letzter Zeit schon den Kriegsdienst verweigert. Als das Verteidigungsministerium Aktivitäten der Gefangenen-Hilfsorganisation Amnesty International in den Kasernen untersagte, protestierte Martin: »In der Bundeswehr ist es erlaubt, abstrakt für die Menschenrechte einzutreten - aber es ist nicht erlaubt, konkret die Einhaltung der Menschenrechte zu verlangen.« Als Martin in seiner Kirche eine Veranstaltung im Rahmen der Münchner »Friedenswoche« plante, schaltete sich der Militärische Abschirmdienst ein. Offiziere im Kasino gingen ihn an: »Herr Martin, wofür bezahlen wir Sie eigentlich?« Auf Tagungen der Militärkirche beklagte Martin eine »inhaltliche Verengung« feldgeistlicher Theorie und Praxis. »Weder Nato-Rezepte noch Regierungsentscheidungen«, forderte er, dürften »letzte Verbindlichkeit haben«. Er verlangte mehr Gemeindearbeit mit neuen Konzepten und befürchtete, »daß der Versuch der Einflußnahme auf die Militärseelsorge in einem Verteidigungsfall erheblich zunehmen wird«. So lange braucht Martin, der vom nächsten Jahr an in der Mainzer Christuskirche wieder vor Zivilisten predigen wird, gar nicht zu warten. Im Fachblatt »Truppenpraxis« kann er in einem Aufsatz des Generaldekans Gramm, der sich für Martins Entlassung besonders stark gemacht hatte, schon jetzt nachlesen, wie beispielsweise die Pershing-2-Atomraketen zu bewerten sind. »Waffen, welcher Art auch immer«, schrieb der geistliche Mobilmacher, seien nicht nur ein Fluch, sondern »zugleich ein Segen«. ========== Gegendarstellung 16.10.1983, 13.00 Uhr • aus DER SPIEGEL 42/1983 In »DER SPIEGEL« Nr. 31 vom 1. August 1983 werden unter der Überschrift »Militärseelsorge - Fidele Ignoranten« Behauptungen in bezug auf meine Person aufgestellt, die nicht den Tatsachen entsprechen. 1. Die Behauptung, ich habe mich mit der gesamten Spitze der evangelischen Militärseelsorge auf einer Geheimklausur in Bonn gegen Dr. Martin ausgesprochen, ist falsch. Richtig ist: Eine geheime Klausur mit der gesamten Spitze der evangelischen Militärseelsorge hat es nie gegeben. Ebensowenig haben Gespräche der gesamten Spitze der Militärseelsorge über Dr. Martin stattgefunden. 2. Die Behauptung, in Pfarrer Martin müsse zum ersten Mal ein Militärgeistlicher gehen, weil er in den Verdacht geraten ist, anfällig für pazifistisches Gedankengut zu sein, ist falsch. Richtig ist, daß für die Nichtverlängerung des zum Jahresende 1983 auslaufenden Vertrags mit Dr. Martin für mich Gründe maßgebend waren, die mit seiner angeblichen Anfälligkeit für pazifistisches Gedankengut nichts zu tun haben. 3. In »DER SPIEGEL« wird behauptet, ich hielte Theologen, die sich mit Schildern wie »Pfaffen ohne Waffen« ausrüsten, für »Fidele Ignoranten«. Diese Behauptung ist falsch. Ich habe vielmehr im Informationsdienst der Evangelischen Allianz idea Nr. 25/80 vom 27. 5. 1980 auf die Frage von idea: »Kann man von einem gestörten Verhältnis zwischen Bundeswehr und einem Teil der Pfarrerschaft sprechen?« gesagt: »Es gibt sicher Pfarrer, die Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen wären, wenn sie sich zu entscheiden hätten. Ich respektiere sie. Daneben aber gibt es nicht wenige, die aus einem fidelen Ignorantentum heraus, aus Unwissenheit und einem sehr verkürzten Denken von Frieden die Bundeswehr ablehnen.« 4. »DER SPIEGEL: gibt zur Begründung seiner Behauptung, daß meine Thesen von der Hardthöhe stammen könnten, ein Zitat von mir: »Unter den heutigen Bedingungen dient es dem Frieden mehr, wenn man Soldat in der Bundeswehr ist. Eine konsequente Entscheidung gegen den Wehrdienst würde zu einer Instabilität in Mitteleuropa führen« verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissen wieder. Bei meinen Äußerungen im Rahmen eines Interviews (idea Nr. 25/80 vom 27. 5. 1980) handelt es sich um keine Thesen, sondern um meine persönliche in dem Interview länger begründete Entscheidung. 5. »DER SPIEGEL« behauptet, daß Pfarrer, nur weil sie »Wehrgeistliche« sind, schon eine Zulage vom Verteidigungsministerium bekommen. Das ist falsch. Militärgeistliche erhalten vom BMVg keinerlei amtsspezifische Zulagen. 6. Nach der Darstellung in »DER SPIEGEL« geriet der Münchener Pastor Martin »in dieses Klima ganz besonderer Religionsausübung« fast zufällig. Tatsächlich bewarb sich Dr. Martin am 19. 4. 1977, nachdem er als wissenschaftliche Hilfskraft am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr in München abgelehnt worden war, für die Militärseelsorge als evangelischer Pfarrer an der Hochschule der Bundeswehr in München. 7. Zu der Behauptung, die Militärgeistlichen hielten sich an den Komment für Truppentheologen, den 1969 der damalige Heeres-Inspekteur Albert Schnez entworfen habe, stelle ich fest: Der behauptete Komment für Truppentheologen aus dem Jahre 1969 wurde zu keiner Zeit von der Leitung der Militärseelsorge an die Militärgeistlichen als Weisung weitergegeben. Evangelische Militärgeistliche sind allein an ihr Ordinationsgelübde gebunden. 8. Die Behauptung, mein Dienst-Mercedes sei mit einem Stander bestückt, ist falsch. Richtig ist, daß mein Dienstwagen zu keiner Zeit über einen Stander verfügte. 12. August 1983, Dr. Lehming Militärbischof ==================== Richtigstellung * 1. In SPIEGEL Nr. 31 vom 1. 8. 1983 wird auf den Seiten 34 und 35 im Rahmen eines Artikels unter der Überschrift »Militärseelsorge - Fidele Ignoranten« behauptet, der Generaldekan R. Gramm habe den Dissens zwischen Friedensbewegten und Militärgeistlichen dadurch zugespitzt, daß er geäußert habe, den Evangelischen drohe die Spaltung in eine »Friedens«- und eine »Raketen-Kirche«. Tatsächlich hat Gramm im Rahmen eines Interviews der »Bonner Rundschau« auf die Frage, ob eine solche Spaltung drohe, geantwortet: »Das wäre das Schlimmste, was uns passieren kann. Ich beobachte Gruppen an der Basis, die eine solche Entwicklung begrüßen würden. Aber ich hoffe, daß der Einfluß der Kirchenleitung stark genug sein wird, uns vor einer solchen Entwicklung zu bewahren.« 2. Weiter heißt es im SPIEGEL, im Fachblatt »Truppenpraxis« könne man in einem Aufsatz Gramms nachlesen, wie beispielsweise die Pershing-2-Atomraketen zu bewerten sind: »Waffen, welcher Art auf immer«, seien nicht nur ein Fluch, sondern »zugleich ein Segen«. Tatsächlich heißt es in dem betreffenden Artikel: »So sind auch Waffen, welcher Art auch immer, Fluch und Segen zugleich. Was die A-Waffen angeht, bin ich der Meinung, daß sie, weil sie ein Fluch sind, uns vielleicht zum Segen geworden sind, indem sie uns wie nie zuvor zu einer Neubesinnung zu Krieg und Frieden gezwungen haben.« Red.