Seltsam: Militärbischöfe ohne Bibel und Theologie
In der Begegnung mit der Militärseelsorge beobachtet man etwas Seltsames: Bibel und Theologie spielen - außer bei der Lehre von der "gefallenen Welt" - kaum eine Rolle. Die Militärbischöfe argumentieren weltlich: mit angeblichen Vernunftsgründen. Bibel und Theologie scheinen keine Rolle zu spielen. Die Nachfolge Jesu scheint keine Rolle zu spielen. Was hätte Jesus zu Krieg und Militär gesagt? Hat Jesus gesagt: "Ihr dürft Gewalt anwenden?" Beispiel: Podiumsdiskussion in Berlin im Mai 2013. Quelle: Kompass 5/2013.
"Was Deutschland anders macht
In einer Berliner Kirche reden die beiden Militärbischöfe und Experten darüber, was deutsche Kampfdrohnen von denen der Verbündeten unterscheiden würde.
Auf dem Podium v. l. n. r.: Johann Michael Möller, MDR; Dr. Martin Dutzmann, Ev. Militärbischof; Dr. Thomas de Maizière, Verteidigungsminister; Dr. Franz-Josef Overbeck, Kath. Militärbischof; Prof. Dr. Harald Müller, HSFK (Quelle: Kompass / König)
Berlin, 24.05.2013. Manchem klingt noch die unglückliche Formulierung von Thomas de Maizière, dem seit März 2011 amtierenden Bundesminister der Verteidigung, von der ethischen Neutralität der Waffe im Ohr, aber auch Kritiker des Bundesministers müssen Johann Michael Möller, seit November 2006 Hörfunkdirektor des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), zustimmen, der heute ein Lob für ihn ausspricht: Dass der politisch Verantwortliche Monate vor (!) einer Entscheidung zur Diskussion einlädt, ist ein gutes Zeichen und hat Seltenheitswert. Möller hatte die Aufgabe, das Gespräch zu moderieren, zu dem de Maizière die beiden Militärbischöfe und etwa einhundert Fachleute aus Bundeswehr, Politik, Presse, Kirchen und Wissenschaft in der Matthäuskirche im Berliner Kulturforum versammelt hat.
Was beunruhigt uns so an der Vorstellung von Kampfdrohnen? Harald Müller, geschäftsführendes Mitglied des Vorstandes der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), hatte Pro- und Contra-Argumente zusammengestellt. Sein – aus politikwissenschaftlicher Sicht formuliertes – Impulsreferat zu Beginn der Veranstaltung steckte den inhaltlichen Rahmen für die darauf folgenden Diskussionsbeiträge ab. Letztlich, so sein Resümee, ist die Missbrauchsgefahr das Hauptargument gegen diese Technik. Werden hier Waffensysteme entwickelt, die sich wegen geringer materieller und menschlicher Einsatzkosten schnell und unkontrolliert ausbreiten werden? Laden die besonderen Fähigkeiten solcher Systeme nicht geradezu zum Missbrauch ein? Wird Krieg leichter führbar und damit wahrscheinlicher? Ist es denkbar, die Entscheidung über Leben und Tod an einen Automaten zu delegieren, der selbstständig menschliche Bewegungsmuster analysiert und daraufhin handelt?
Der Minister: Eine solche Entwicklung wird es nicht geben.
Nicht alle Bedenken des Friedens- und Konfliktforschers lässt der Verteidigungsminister gelten. Zumal die meisten Argumente nicht allein Kampfdrohnen betreffen, sondern andere Systeme genauso. Und dass ein Waffensystem zielgenau ist, muss nicht automatisch ein ethischer Mangel sein.
In drei Punkten legt de Maizière sich unmissverständlich fest: „Extralegale Hinrichtungen kommen für uns nicht in Frage.“ Das geltende deutsche Recht hat unbedingten Vorrang vor der Einbindung in ein Bündnis, das keine einheitliche Rechtskultur kennt. Der zweite Punkt betrifft das Einsatzgebiet: „Drohnen können nur in dem von einem Mandat abgesicherten Gebiet eingesetzt werden. Ein Einsatz außerhalb entspricht nicht unserer Rechtslage und es wird ihn nicht geben.“ Drittens ist er nicht bereit, auf den Menschen zu verzichten, der jeden einzelnen Einsatz lenkt und einen Waffengebrauch auslöst: „Eine Drohne ist keine Roboterwaffe.“ Eine solche technische Entwicklung schließt er aus – selbst für den Fall einer abweichenden Entwicklung bei den westlichen Partnern.
Die Bischöfe: Der Sündenfall ist geschehen.
„Drohnen sind nur eine Teilfrage“, sagt Martin Dutzmann, der evangelische Militärbischof. Die deutsche Gesellschaft muss sich dringend darüber verständigen, wofür sie Gewalt, Waffen und Soldaten einsetzen will – und wofür nicht. Die Frage, ob Krieg führbar ist, stellt sich nicht mehr: „Der Sündenfall ist geschehen. So schrecklich es ist, diese Diskussion zu führen, wir müssen sie aber führen!“ Das schulde Deutschland auch den Soldatinnen und Soldaten, die es mit einem Eid an sich bindet und an die es selbst dadurch gebunden ist: „Ehrlichkeit ist eine Frage der Seelsorge.“ Auch der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck fordert diese Diskussion ein und fragt zugleich: „Sind die Zukunftskomplexitäten so hoch, dass wir meinen, sie simplifizieren zu müssen, um sie zu ertragen?“ In diesem Zusammenhang erinnert Overbeck erneut an die Überlegungen, die gemeinsam – zusammen mit dem Vorsitzenden des Deutschen Kommission Justitia et Pax – dem Trierer Bischof Stephan Ackermann, im Februar 2013 öffentlich erklärt wurden.
Ein Schritt in Richtung der fälligen Gesamt-Diskussion ist das zweite Thema des Treffens: die Idee der „Responsibility to Protect“, eines Konzepts der Vereinten Nationen zur internationalen Schutzverantwortung für Bevölkerungen weltweit. Der Minister hadert mit der gefälligen Rede vom Vorrang für Prävention und zivile Konfliktbearbeitung. Nicht, weil er anderer Meinung wäre, sondern weil er eine Praxis wahrnimmt, die solche Reden Lügen straft: „In Krisengebieten wird zu früh nach Soldaten gerufen – und zu lang.“ Der Einsatz des Militärs sei eben nicht „ultima ratio“, das letzte oder äußerste Mittel. Im Gegenteil, Militär sei wegen seiner schnellen Verfügbarkeit regelmäßig der erste Gedanke der Handelnden.
Der Friedensbeauftragte: für ein stehendes Heer ziviler Fachleute
Militärbischof Dutzmann warnt vor einer Verkürzung der Schutzverantwortungs-Debatte auf die militärische Intervention; und er weist auf die Konsequenzen solcher Interventionen hin: „Wer das äußerste Mittel einsetzt, übernimmt auch äußerste Verantwortung.“ Diese Verantwortung beinhaltet den Wiederaufbau – oft über Jahrzehnte.
Als Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirchen gehört Renke Brahms zu denen, die regelmäßig den „Vorrang für Zivil“ einfordern. Er teilt die Einschätzung des Verteidigungsministers, dass sich die Blicke im Krisenfall viel zu schnell auf das Militär konzentrieren, weil es sofort verfügbar ist. Aber er zieht daraus seinen eigenen Schluss, die finanzielle und personelle Stärkung des zivilen Sektors: „Wir brauchen ein stehendes Heer ziviler Kräfte zur Konfliktbearbeitung; das ist die Konsequenz der Schutzverantwortung.“
Mit Blick auf die innergesellschaftliche Akzeptanz einer kollektiven Schutzverantwortung für den Frieden, resümiert Militärbischof Overbeck zum Ende des gut zweistündigen Dialogs nachdenklich und fragt in diesem Zusammenhang wörtlich: „Wie viel Wohlstandsverlust wäre die bundesdeutsche Bevölkerung bereit hinzunehmen, um zugunsten der Durchsetzung der Menschenrechte auf Gewohntes zu verzichten und gegebenenfalls Abstriche in der eigenen Lebensführung hinzunehmen?“
Josef König / Walter Linkmann